Die Erde. Schön und faszinierend. Sie bringt mich immer wieder zum Erstaunen, jedoch meist nur in der Vogelperspektive. Dass ich in diesen Genuss nur selten komme, ist nicht anders zu erwarten. Ich saß in den letzten Wochen viel in Flugzeugen und konnte so einen Blick auf südliche und nördliche Regionen Deutschlands werfen. Aus diesem Grund ist es mir auch immer sehr wichtig einen Fensterplatz einnehmen zu können. Bei Start und Landung kämpfe ich gegen die Fliehkräfte an und drehe meinen Hals bis zur Genickstarre in Richtung Erde. Selbst auf Inlandsflügen bekommt man Kleinigkeiten zu sehen, die einem sonst verborgen geblieben wären.
Es muss aus dem Unterbewusstsein kommen, dass ich auf Smartphone, Tablet und Computer immer Bilder der Erde aus dem Weltraum als Hintergrund habe. Alternativ entfernte Galaxien. Zieht es mich insgeheim in die weitere Ferne, in die Perspektive, die nur wenige Menschen einnehmen können? Vermutlich. Mein Lieblingsfilm ist Apollo 13. Obwohl es hauptsächlich von dem “erfolgreichen Fehlschlag” handelt, wie es die NASA nach dem Unglück formulierte, fasziniert mich an dem Film neben der erstklassigen inhaltlichen Umsetzung die Rolle der Erde. Bei einer manuellen Triebwerkszündung dient sie den Astronauten als Orientierungspunkt im großen schwarzen Raum voller Nichts. Glaubt mir, der Film ist es wert gesehen zu werden. Und wie es der “Zufall” so will, habe ich ihn am Wochenende gesehen. Beim Besuch eines Freundes bot es sich an, da er dieses Meisterwerk selbst noch nicht kannte.
Ganz zufällig bin ich auf Vimeo auf das Video über den Overview-Effekt gestoßen. Was da von den Astronauten über die “eine ganze Erde” beschrieben wird, reißt einen schon schnell mit. Wie muss es sich wohl anfühlen dieses Erlebnis zu haben, wenn man schon bei schlichten Fotoaufnahmen Begeisterung verspürt und ein Glücksgefühl nicht unterdrücken will. Die meisten (vermutlich alle) der Personen im Video sind Mitglied der Association of Space Explorers (ASE). Der Verein nimmt sich die überwältigende Erfahrung des Anblicks der Erde aus dem Weltraum mit grundlegender Sorge und persönlicher Verantwortung für die Erhaltung und den Schutz der Natur der Erde zum Thema. Scheinbar hat sie eine gigantische Wirkung auf die Denkweise über die Dinge – der Overview-Effekt.
Bei der Präsentation des ersten iPhones fiel mir seinerzeit übrigens zuerst der Hintergrund im Sperrbildschirm auf. Blue Marble war rückblickend hoffentlich nicht alleiniger der Grund für meine damalige Kaufentscheidung, aber wer weiß welchen Streich mir mein Weltraumsfaszinationsunterbewusstsein gespielt hat.
Anscheinend muss ich mir meine Faszination für die Erde immer wieder neu in Gewissheit rufen. Erst durch ein Video über diesen Overview erinnere ich mich wieder daran und bemerke meine unbewussten Handlungen (nicht der iPhone-Kauf 2008, aber die Bevorzugung von bestimmten Bildern). Ein Video zeigt mir ein mal wieder die Schönheit der Erde von oben auf und beim nächsten Griff zum Smartphone fällt mir sogleich auf, dass ich diese Perspektive doch jeden Tag sehen könnte – würde man bewusster auf die Bildschriem gucken. Dabei soll man ja gar nicht so lange auf die Bildschriem starren. Also, dann gehe ich demnächst einfach aufmerksamer durch die Welt und betrachte die Dinge in Natura. Zwar nicht aus der Vogelperspektive, aber auch auf niedrigster Ebene kann die Schönheit der Erde bestaunt werden. Ich muss mir das nur wieder klar machen und nicht wieder sofort vergessen. Und wenn doch, dann freue ich mich schon auf meinen nächsten Flug. Dann erinnere ich mich wieder.
Update 9. Februar 2015: Welchen Einfluss der Overview-Effect auf den deutschen Astronauten Alexander Gerst hatte, der am 10. November 2014 zurück zur Erde kam, erläuterte Johann-Dietrich Wörner (Vorstandsvorsitzender des DLR) tagsdarauf in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.